Tornado-Einsatz beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm war rechtswidrig

Mit Urteil vom 7. September 2021 hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg Vorpommern nach mehr als 14 Jahren festgestellt, dass der Einsatz eines Tornado-Flugzeugs der Bundeswehr über dem Camp Reddelich am 5. Juni 2007 rechtwidrig war.

Wir erinnern uns: vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm versammelten sich im Juni 2007 ´zigtausende, um gegen die neoliberale, unsoziale, klimazerstörerische Politik, für die das Gipfeltreffen - wie die vorangegangenen Treffen etwa in Genua 2001 und Gleneagles 2005 - stand, zu protestieren. Sie fanden Unterkunft unter anderem in Camps im Umfeld von Rostock und Heiligendamm. Die erwarteten massenhaften Proteste löste schon im voraus einen gewaltigen polizeilichen Aufmarsch aus dem ganzen Bundesgebiet aus. Auch mit dem Einsatz weiterer Machtmittel sparte die "Besondere Aufbauorganisation KAVALA" der Polizei nicht. So wurden unter anderem Spähpanzer der Bundeswehr zur Beobachtung der Zufahrtswege der Demonstrierenden eingesetzt und Tornado-Kampfflugzeuge mit spezieller Foto- und Infrarottechnik der Bundeswehr zur weiträumigen Aufklärung von Zufahrtswegen und den Camps der Protestierenden angefordert. Viele Protestierende hatten schon aggressive Polizeieinsätze und die ersten massenhaften Ingewahrsamnahmen erlebt, als am 5. Juni 2007, dem Tag vor dem Beginn des Gipfeltreffens, um 10 Uhr 30 ein solches Kampfflugzeug im Tiefstflug von nur ca. 119 Metern über das Camp Reddelich hinwegdonnerte . Betroffene fürchteten nach dem Tornado-Einsatz, dass ihnen nicht nur weitere massive Polizeieinsätze bevorstünden, sondern dass gegen die Gipfelgegner*innen nun sogar schwerstes militärische Gerät zum Einsatz kommen könnte.

 

Staatliche Aufklärung und Drohgebährden im Vorfeld von Demonstrationen greifen in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit der Betroffenen ein.

Mehrere Betroffene suchten daher seitdem Rechtsschutz bei der zuständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern. Und fanden ihn zunächst nicht: In den Jahren 2011 und 2015 urteilten die Gerichte, dass von dem ohrenbetäubenden Lärm und dem Anblick des Kampfflugzeugs trotz des erkennbaren Bezugs zum Gipfel und dem Zweck des Camps keine einschüchternde Wirkung ausgehen sollte, und wiesen die Klagen ab. Erst das Bundesverwaltungsgericht kam 2017 - da waren seit dem Gipfel schon zehn Jahre vergangen - zu der Einsicht, dass Machtdemonstrationen dieser Art die potentiellen Versammlungsteilnehmer*innen einschüchtern und von der Wahrnehmung des Grundrechts abhalten könnten (BVerwG, U.v. 25.10.2017 - 6 C 64.16-, www.bverwg.de, s. https://taz.de/Kampffliegereinsatz-in-Heiligendamm/!5455805/). Die Sache wurde an das Oberverwaltungsgericht zurück verwiesen und kam erst 2021 wieder auf die Tagesordnung. Die über die Jahre des Rechtsstreits behauptete polizeiliche Rechtfertigung des Tornado-Einsatzes - man habe mit der militärischen Aufklärungstechnik Erddepots für Waffen und Blockadematerial im Camp ausmachen wollen - überzeugte das Oberverwaltungsgericht in neuer Besetzung nicht. Sie ließ sich nicht nur von Anfang an nicht mit der Aktenlage in Übereinstimmung bringen, sondern erschien auch angesichts der praktischen Verhältnisse vor Ort nicht geeignet, um einen derart massiven Eingriff in die Versammlungsfreiheit zu legitimierenen. Dass die Polizei sich garnicht erst Gedanken über die Grundrechte der Betroffenen gemacht hatte, rundet diese Bild ab.

Die juristische Aufarbeitung der von massiven Machtdemonstrationen, vielfältigen Grundrechtsverstößen und der Mobilisierung aller verfügbaren Mittel geprägten Praxis der BAO Kavala bei der Verhinderung und Kontrolle von Protesten rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 dürfte damit ein dieser Institution würdiges Ende gefunden. Es bedurfte eines unmissverständlichen Ordnungsrufs des Bundesverwaltungsgerichts und insgesamt 14 Jahre Rechtsstreit, um den Betroffenen die naheliegende Feststellung, dass das Grundgesetz der Polizei nicht erlaubt, im Tiefflug Kampfflugzeuge über Demonstrant*innen donnern zu lassen, zuteil werden zu lassen. Das gehört zu den vielen Umständen, die den Nachgeschmack verbittern. Trostpflaster: im Drohnenzeitalter hat die Versuchung, wieder Kampfflieger zu Aufklärungsflügen für die Polizei starten zu lassen, vermutlich schon wieder an Reiz verloren.

 

 

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