Rechtsanwalt Ilius plädiert im NSU Prozess

Der Mord an Mehmet Kubaşık in Dortmund als Beispiel für rassistische Ermittlungen und unzureichende Ermittlungen hinsichtlich lokaler NSU Netzwerkstrukturen

Rechtsanwalt Ilius plädiert im NSU Prozess

 

Der Mord an Mehmet Kubaşık in Dortmund als Beispiel für rassistische Ermittlungen und unzureichende Ermittlungen hinsichtlich lokaler NSU Netzwerkstrukturen

 

Rechtsanwalt Carsten Ilius vertritt seit Beginn des Verfahrens Frau Elif Kubaşık, die Witwe des in Dotmund am 4. April 2006 ermordeten Mehmet Kubaşık. Unter dem 21. und 22. November hielt er nun gemeinsam mit Frau Kubaşık sein Plädoyer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Das Plädoyer reiht sich in einen gemeinsam abgestimmten Vortrag der Nebenklagevertreter_Innen Carsten Ilius, gemeinsam mit Elif Kubaşık, Berthold Fresenius, Stephan Kuhn, Dr. Peer Stolle, Dr. Björn Elberling, Alexander Hoffmann und Antonia von der Behrens ein. Die gesamten Plädoyers können hier selbstverständlich nicht wieder gegeben werden. Allerdings sollen zu jedem der gemeinsam abgestimmten Vorträge hier eine kurze Zusammenfassung und jeweils ausgewählte Zitate wiedergegeben werden.

 

Thema:

Das Plädoyer stellt ausgehend vom Fall des am 4. April 2006 vom NSU in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık dar, was der Mord für die Familie bedeutete und wie die Ermittlungen aufgrund rassistischer Vorurteile von Anfang an in die falsche Richtung liefen und sich gegen die Familie richteten, obwohl sich in diesem Fall Bezüge zur örtlichen Nazi-Szene geradezu aufdrängten.

 

Inhalts-Zusammenfassung:

Das Plädoyer beginnt mit der Wiedergabe von Erzählungen der Witwe des Mehmet Kubaşık, Elif Kubaşık zur Beziehung zu ihrem Mann, seiner Persönlichkeit und seiner Verwurzelung in Dortmund. Es wird dann erläutert, wie durch die rassistischen Ermittlungen eine zusätzliche Verunsicherung der Opfer und der Familien und anderen migrantischstämmigen Menschen in Deutschland eintreten ist. Es wird dargelegt, wie absurd es war, beim Mord an Mehmet Kubaşık, als 8. Mord der Serie, überhaupt im persönlichen Umfeld zu ermitteln, obwohl bereits feststand, dass es keinerlei Verbindung zwischen den mit derselben Waffe ermordeten Opfern gab, aus denen sich ein mit den Familien unmittelbar verbundenes Motiv hätte in irgendeiner Weise ableiten lassen. Indem die Ermittlungen gegen die Familie Kubaşık konkret nachgezeichnet werden, die nicht nur vielzählige Befragungen von Freunden und Verwandten nach angeblichen Drogengeschäften, Glückspiel oder Geliebten, sondern sogar Ermittlungen zum Umfeld entfernter Verwandter in der Türkei beinhalteten, entsteht das Bild von Ausmaß und erschütternden Konsequenzen dieser fehl gerichteten Ermittlungen.

Das Plädoyer macht dann deutlich, dass in den bundesweiten Ermittlungen zur Ceska-Serie durchaus nahe lag, die Ermittlungsrichtung anlässlich der Morde an Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat endlich zu ändern. Die operative Fallanalyse des Jahres 2006 hatte den richtigen Ausgangspunkt eines rassistischen Motivs gefunden und auch richtige Ermittlungsansätze vorgeschlagen, die Erfolg hätten bringen können. Entsprechende Ermittlungen wurden aber dennoch zunächst nicht konsequent geführt und dann wurde dieser Ansatz aufgrund einer weiteren selbst rassistisch argumentierenden Fallanalyse aus Baden-Württemberg wieder verworfen.

Im Plädoyer wird dann nachgewiesen, dass es bereits im Jahr des Mordes an Mehmet Kubaşık in Dortmund selbst mehrere Erfolg versprechende Ansätze für Ermittlungen in die richtige Richtung gegeben hatte, unter anderem den Hinweis der Zeugin D. auf zwei Personen in der Nähe des Tatorts, die „wie Nazis“ ausgesehen hätten sowie Hinweise der Familie Kubaşık auf Nazis als mögliche Täter. Gleichwohl wurde überhaupt nicht in der Dortmunder Nazi-Szene ermittelt oder auch nur der Verfassungsschutz des Landes NRW zu möglichen Nazi-Tätern befragt (wohl aber nach PKK-Verbindungen des Ermordeten).

Aufgrund dieser Ansätze hätten sich Ermittlungen in der Dortmunder Naziszene aber aufgedrängt, da von Dortmunder Nazis zwischen 2000 und 2005 bereits vier Menschen aus politischen Motiven ermordet worden waren und nach Szene-Zeugenangaben im Umfeld der Band „Oidoxie“ um Marko Gottschalk sogar eine Dortmunder Combat18-Zelle bestand, die über Blood & Honour bundesweit eng vernetzt war und sich bewaffnete.

Das Plädoyer endet mit Vorwurf gegenüber dem GBA, die von den Dortmunder Mordermittlern versäumten Ermittlungen auch nach dem 4. November 2011 nicht nachgeholt zu haben.

 

Zitate:

Elif Kubaşik äußerte zu den Ermittlungen gegen die Familie:

Uns wurde sehr großes Unrecht angetan, als behauptet wurde, dass wir mit Rauschgift zu tun haben. […] Bekannte, die uns kannten, die glaubten uns, aber die uns nicht kannten, fragten sich natürlich, wenn es nicht zutreffend wäre, würde die Polizei nicht mit Suchhunden zu uns kommen und bis zum Keller alles durchsuchen. […]“

 

Carsten Ilius betonte:

Egal wie sehr Rassismus und dadurch ausgelöster gesellschaftlicher Ausschluss nach dem Mord an Mehmet Kubaşık den Verlust noch verschlimmert und die Familie noch mehr belastet haben: Elif Kubaşık hat deutlich gemacht und wird es weiter tun, dass das Vertreibungskonzept des NSU in ihrem Fall dennoch gescheitert ist. Sie hat sich nicht vertreiben lassen. Sie, ihre Kinder und ihr Enkel sind Dortmunder und sie hat klar gemacht, dass sie zu diesem Land gehören und hier bleiben werden.“

 

Mit Blick auf das Plädoyer des Bundesanwalts Dr. Diemer vom 25. Juli 2017 stellt er fest:

Als Herr Dr. Diemer in seinem Plädoyer von Deutschland als diesem freien, freundlichen Land sprach, 'in dem wir leben, das der NSU durch seine Taten aufgrund der rechtsextremistische Ideologie, der Wahn von einem ausländerfreien Land, erschüttern wollte, um einem widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten', sprach er dabei sicher nicht für die Angehörigen und anderen Betroffenen der Taten des NSU. Denn für diese stellte sich nach den Morden und Anschlägen dieses Land mit seinen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften als feindlich heraus.“

 

 

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