Carsten S. soll nach Jugendstrafrecht beurteilt werden; beim Gutachten des Sachverständigen Prof. Leygraf „psychologisierte“ und bagatellisierte er seine führende Rolle in der Naziszene 1998 als jugendliches Freizeitvergnügen

Carsten S. soll nach Jugendstrafrecht beurteilt werden

Presseerklärung des Nebenklagevertreters Rechtsanwalt Sebastian Scharmer vom 18.03.2015

 

Carsten S. soll nach Jugendstrafrecht beurteilt werden; beim Gutachten des Sachverständigen Prof. Leygraf „psychologisierte“ und bagatellisierte er seine führende Rolle in der Naziszene 1998 als jugendliches Freizeitvergnügen

Heute erstattete zunächst der Sachverständige Prof. Dr. Leygraf sein Gutachten. Er sollte zu der Frage Stellung nehmen, ob der Angeklagte Carsten S., der zur Tatzeit Heranwachsender war, noch einem Jugendlichen gleichstand oder eher einem Erwachsenen. Daran hängt die für Carsten S. ganz entscheidende Frage, ob er nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen wäre. Das kann viele Jahre Freiheitsentzug Unterschied am Ende ausmachen.

Carsten S. habe am ersten Untersuchungstag zu seinen eigenen Einstellungen und Aktivitäten in der rechtsradikalen Szene eher wenig und blasse Angaben gemacht. Am zweiten Tag habe er einen Zettel abgearbeitet und dabei seine eigenen politischen Tätigkeiten und Überzeugungen als jugendliches Freizeitvergnügen dargestellt. Er neige zu einer schleppenden und „psychologisierenden“ und was seine Einbindung in die rechte Szene betrifft auch bagatellisierenden Erzählweise.

Ein wesentliches Moment in der Entwicklung des Angeklagten Carsten S. sei seine Homosexualität gewesen. Er sei schon während der frühen Schulzeit gemobbt worden, habe dann selbst den Einstieg in die Neonaziszene gesucht, wo er Stärke und Zusammenhalt fand. Zudem war eine jugendliche Protesthaltung gegenüber den Eltern sicher ein möglicher Aspekt seiner politischen Orientierung. Dass das der maßgebliche Grund für die politische Entwicklung war, sei dabei aber nicht zwingend. Carsten S. sei auch durchaus geltungsbedürftig.

Einige Punkte, die Carsten S. in der Hauptverhandlung zum Tatvorwurf eingeräumt hat, hatte er früher gegenüber dem Sachverständigen nicht berichtet. Nach den sog. Esser-Kriterien lasse sich, so Prof. Leygraf, nicht feststellen, dass Carsten S. zur Tatzeit nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen sei, was im Zweifel für die Anwendung von Jugendstrafrecht spreche.

 

Im Anschluss vernahmen wir Giso T., heute noch bullig mit Glatze, der als erstes im tiefsten Sächsisch sagte, dass er keinen kenne und nichts sagen könne. Zur rechten Szene in Chemnitz: „Was soll ich n dazu sagen? Da kenn ich halt ein paar Leute.“ Mehr wollte der Zeuge von sich aus nicht sagen, alles andere musste ihm der Vorsitzende förmlich aus der Nase ziehen. Er sprach daraufhin davon, wer heute „noch dabei“ sei, was darauf schließen lässt, dass der Zeuge noch in der Naziszene verankert ist. Thomas St. kenne er noch von „Blood & Honour“ Zeiten. Er selbst war Mitglied und habe damals bei den Konzerten „Security“ gemacht“. Waffen und Sprengstoff hätte angeblich in der damaligen Szene keine Rolle gespielt, pampte der Zeuge einsilbig auf Frage des Vorsitzenden zurück. Erst im Nachhinein habe er von seinem Kumpel W. erfahren, dass da mal „irgendwas“ gewesen ist. Mehr sei angeblich nicht gesprochen worden. Dass er selbst bei der Übergabe des TNT dabei gewesen sein soll, bestritt er ebenfalls einsilbig. Allerdings gab er zu, einmal vom Sächsischen Verfassungsschutz angesprochen worden zu sein. Es sei um Angaben zu Blood & Honour und Nazikonzerten gegangen. Angeblich habe er eine Zusammenarbeit abgelehnt.

 

Am Ende für den heutigen Verhandlungstag hörten wir den Zeugen Mike M., der ein Schulkumpel von Mundlos und Zschäpe war, sich selbst aber in der damaligen Zeit als links bezeichnete. Er habe deswegen auch 1991 weitestgehend den Kontakt eingestellt. Böhnhardt hätte man nicht reizen dürfen, der sei aggressiv gewesen und habe – als eine Art Waffennarr - auch ein Klappmesser besessen. Als er u.a. mit Zschäpe wegen eines gemeinsamen Diebstahls vor Gericht saß, habe er ausgesagt und sei später dann aus der Clique heraus verprügelt worden. Er selbst sei auch mal als „linke Zecke“ bezeichnet worden. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hätten Vietnamesen als „Fidschis“ oder „Kanaken“ beschimpft, rumgepöbelt, ihnen zum Teil Zigaretten abgenommen und Parolen, wie „Deutschland den Deutschen“ in der Stadt skandiert. Auch habe der Zeuge noch vage Erinnerungen daran, dass in der Clique erzählt wurde, dass man ein bisschen „rum geballert“ habe.

 

Der Zeuge machte allerdings insgesamt keinen sonderlich glaubwürdigen Eindruck, da sich - nicht zuletzt durch die Befragung der Verteidigung - herausstellte, dass er damals alles andere als linke Ansichten vertrat, sich aber heute nicht als Teil der rechten Gruppe darstellen wollte. Dies würde auch erklären, warum er mehrfach versuchte das Verhalten von Zschäpe zur damaligen Zeit, anders als in seiner polizeilichen Vernehmung, heute zu relativieren.

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