Bombenanschlag in der Probsteigasse: Beeindruckende Aussage der Verletzten

Presseerklärung der Nebenklägervertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle
vom 04. Juni 2014

Der Hauptverhandlungstag beschäftigte sich heute mit dem Bombenanschlag in der Probsteigasse in Köln am 19. Januar 2001. Kurz vor Weihnachten 2000 hatte ein Mann eine Christstollendose mit einer selbstgebauten Bombe in dem Geschäft einer deutsch-iranischen Familie deponiert. Er gab vor, sein Geld vergessen zu haben, verließ den Laden und hinterließ die Dose. Am 19.01.2001 öffnete die damals 19 Jährige Tochter der Familie das Gefäß. Die Stollendose explodierte Sekunden später und verursachte schwerste Verletzungen, insbesondere Verbrennungen.

Die heute 32jährige Ärztin beschrieb eindrucksvoll, wie sie die Dose öffnete, noch kurz eine blaue Gasflasche sah, dann kam die Exploion. Ihre Augen seien "wie zugeklebt" gewesen. Sie konnte nicht atmen, nicht schreien. Sie erinnerte noch den Rettungswagen, wurde betäubt und wachte erst wesentlich später aus dem Koma auf. Die Dose lag längere Zeit im Laden. Mehrere Familienmitglieder seien kurz davor gewesen, sie zu öffnen. Man wartete noch auf den Mann, der sie vermeintlich vergessen hatte. Die Dose hätte über mehrere Wochen von jedem geöffnet werden können, also auch weitere Familienmitglieder verletzten oder töten können.

Nur weil die Explosion mehrere Sekunden verzögert erfolgte und sich die Verletzte in dieser Zeit geistesgegenwärtig hinter einen Tisch entfernte und hinhockte, waren die Verletzungen nicht noch gravierender bzw. tödlich.

Die Folgen waren gravierend. Das Gesicht und der Körper waren durch die Explosion, Splitter und Feuer stark mitgenommen. Die Verletzte dürfte zunächst lange nicht in den Spiegel schauen. Als sie sich das erste Mal ins Krankenhausbad schleppte, um in den Spiegel zu sehen, erlitt sie den nächsten Schock. Etliche Operationen waren seitdem erforderlich. Das Schwarpulver der Bombe tätovierte faktisch ihr ganzes Gesicht, Metall- und Holzsplitter steckten noch lange im Kiefer. Die Trommelfelle waren zerfetzt. Knochen geborchen. Noch heute sind die Spuren sichtbar.

Die junge Frau kämpfte in bemerkenswerter Weise. Sie stand über Jahre immer wieder Rehamaßnahmen und Operationen durch. Sie holte ihr Abitur nach, verließ Köln und wurde selbst Ärztin. Noch heute wird sie täglich auf die Narben in ihrem Gesicht angesprochen, dann weiß sie nicht, was sie antworten soll.

Die Ermittlungen liefen über Jahre hinweg ins Leere. Einen rechtsradikalen Hintergrund schloss die Polizei unmittelbar nach der Tat aus. Vielmehr ging es länger um einen Auslandsbezug aus dem Iran. Das Verfahren wurde später mit der These eingestellt, dass es ein nicht identifizierter Einzeltäter gewesen wäre.

Als sie 2011 das Bekennervideo aus der Presse mitbekam, war es ein weiterer Schock. Die Polizei, insbesondere das BKA informierte sie über nichts. Die Angst der Verletzten und ihrer Familie vor weiteren Mittätern des NSU wurde abgetan; weitere Erklärungen dazu mit der Begründung verweigert, dass die Ermittlungen noch laufen würden. Sie habe überlegt tatsächlich aus Deutschlad wegzugehen. Das sei ja offensichtlich die Intention dieser Leute gewesen. Sie sei hier groß geworden, sie gut intergriert und habe sich letztlich gesagt, dass die ihren Willen nicht kriegen sollen.

Ihre Mutter habe vor dem Anschlag eine auffällige Frau mitbekommen, die Zschäpe ähnlich gesehen habe und dringend die Toilette im Geschäft aufsuchen wollte, den Eindruck hinterließ, sich dort umschauen zu wollen.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

"Es ist beeindruckend, mit welcher Kraft die junge Frau die Folgen des Bombenanschlags bis heute bekämpft. Die Ermittlungsbehörden haben - wie in allen anderen Fällen - von Anfang an in die falsche Richtung ermittelt. Damit aber nicht genug. Auch nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 sind die Ermittlungsbehörden offensichtlich ohne jede Emphatie mit der Familie umgegangen. Diese Behandlung ist nach allem, was die Familie über die Jahre erleiden musste, absolut indiskutabel. Das muss weiter aufgeklärt werden und auch Konsequenzen für die handelnden Beamten haben."

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