Angehörige des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık und deren Rechtsanwälte erstatten Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz

 

 

Pressemitteilung

 

NSU-Komplex
„Operation Konfetti“. Angehörige des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık und deren Rechtsanwälte erstatten Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz

 

Vernichtete Akten können aber nicht mehr geprüft werden“, sagte der ehemalige Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Lothar Lingen bereits im Oktober 2014 in seiner erst jetzt bekannt gewordenen Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft. Damit benannte er sein Motiv für die von ihm angeordnete Vernichtung der Akten zu sieben V-Männern im BfV am 10. November 2011: sie sollten den NSU-Ermittlungen entzogen werden. Demnach hat Lingen seine bisherigen unglaubhaften Angaben, er habe die Akten vernichten lassen, um sich unnütze Arbeit zu ersparen, selbst wiederlegt und die zielgerichtete Vernichtung zugestanden.

 

In der Vernehmung Lingens, aus der in der Sitzung des Bundestagsuntersuchungs-ausschusses zum NSU-Komplex vom 29. September 2016 zitiert wurde, heißt es:


„Mir [also Lothar Lingen] war bereits am 10./11. November 2011 völlig klar, dass sich die Öffentlichkeit sehr für die Quellenlage des BfV in Thüringen interessieren wird. Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht, neun oder zehn Fällen hätte zu der … Frage geführt, aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der Drei eigentlich nicht informiert worden sind. Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt also die Anzahl unser Quellen im Bereich des Thüringer Heimatschutz und Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nicht gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht.“

 

Dieses Vernehmungsprotokoll von Lingen hat die Bundesanwaltschaft dem Oberlandesgericht München und damit auch den Nebenklägern bis heute vorenthalten. Die Bundesanwaltschaft ging sogar soweit, eine unzutreffende Stellungnahme in der Hauptverhandlung abzugeben. So beantragte sie, einen Antrag der Nebenklage aus dem August 2015 auf Ladung von Lothar Lingen abzulehnen, weil die Behauptung der Nebenklage, die Akten seien durch ihn gezielt vernichtet worden, um sie dem Strafverfahren zu entziehen, „aufs Blaue hinein und entgegen aller bislang vorliegenden Erkenntnisse spekulativ“ erfolgt sei.

 

Für Elif und Gamze Kubaşik, Witwe und Tochter von Mehmet Kubaşik, der am 4. April 2006 von Mitgliedern des NSU in Dortmund ermordet wurde, sowie für die Rechtsanwälte der Familie, ist diese gezielte Aktenvernichtung und der Umgang damit ein weiterer Beleg für den fehlenden Aufklärungswillen von Verfassungsschutzbehörden und Bundesanwaltschaft.

 

Elif Kubaşık erklärt dazu: „Uns ist Aufklärung versprochen worden, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte wissen, ob der Verfassungsschutz Informationen hatte, mit denen der Mord an meinem Mann hätte verhindern werden können.“

 

Aus diesem Grund haben die Unterzeichner – auch im Namen von Elif und Gamze Kubaşık – am heutigen Tag bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeige gegen Lothar Lingen und weitere bislang unbekannte Mitarbeiter des BfV u.a. wegen Strafvereitelung, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruchs erstattet.

 

Rechtsanwältin und Rechtsanwälte
Antonia von der Behrens
Carsten Ilius
Sebastian Scharmer
Dr. Peer Stolle

 

 

 

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