Wichtiger Teilsieg gegen Bundesamt für Verfassungsschutz: Staatsanwaltschaft Köln bejaht hinreichenden Tatverdacht bezüglich des ehemaligen BfV-Referatsleiter wegen Vernichtung von Akten im NSU-Komplex im November 2011

Die Staatsanwaltschaft Köln geht in einer Verfügung vom 16. März 2018 davon aus, dass gegen den ehemaligen leitenden Beamten im Bundesamt für Verfassungsschutz mit dem Decknamen Lothar Lingen ein hinreichender Tatverdacht wegen der Vernichtung von V-Personen-Akten im NSU-Komplex am 14. November 2011 wegen Verwahrungsbruchs[1] besteht. Anstatt Anklage gegen Lingen zu erheben, stellt die Staatsanwaltschaft Köln jedoch das Verfahren nach § 153a Abs. 1 StPO vorläufig ein und gibt Lingen die Möglichkeit, durch eine Zahlung von 3000 Euro an einen gemeinnützigen Verein eine endgültige Einstellung zu erreichen.

Hintergrund für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Köln ist eine Strafanzeige von November 2016, die u.a. von Elif und Gamze Kubaşık und den Anwält*innen der Familie gegen Lothar Lingen wegen der Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz erstattet worden war. Auf Anordnung Lingens wurden unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU in zwei Wellen am 11. und am 14. November 2011 oder den folgenden Tagen Akten von sieben thüringischen V-Personen vernichtet. Die zweite Vernichtung betraf weitere Akten des V-Mannes „Tarif“, die bei der ersten Vernichtung „übersehen“ worden waren.

„Die Entscheidung zur vorläufigen Einstellung anstatt zur Erhebung der öffentlichen Klage kann nur so verstanden werden, dass der Schutz Lingens durch die Staatsanwaltschaft Köln, die bisher schon zwei Mal die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Lingen abgelehnt hatte, weitergeht“, kritisiert Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens. „Konkret bedeutet diese Einstellung, dass keine öffentliche Hauptverhandlung stattfinden wird, in der vor der Öffentlichkeit über den strafrechtlichen Umgang mit der Aktenvernichtung verhandelt werden müsste.“  „Gleichzeitig“, so von der Behrens weiter, „ist die Geldauflage ein wichtiges Signal, denn damit geht zum ersten Mal eine Justizbehörde im Zusammenhang mit dem Behördenhandeln im NSU-Komplex von einem strafbaren Verhalten eines der beteiligten Beamten aus“. Bisher war durch die Bundesregierung und die ihr nachgeordneten Behördenleiter des BfV behauptet worden, es hätte keine Hinweise auf strafbares Verhalten einzelner Beamter im Zusammenhang mit Aktenvernichtungen gegeben.

Anlass für die erneute Strafanzeige war das Bekanntwerden der Aussage Lingens vom Oktober 2014 im Rahmen von Lingens Befragung durch den zweiten NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss. Lingen hatte zugegeben, die Vernichtung angeordnet zu haben, um den Inhalt der Akten und die Anzahl von neun bis zehn neonazistischen V-Personen im Thüringer Heimatschutz vor der Öffentlichkeit geheim zu halten[2].

„Jetzt muss das Bundesamt für Verfassungsschutz endlich Antworten auf die Kernfragen liefern: Was war so wichtig, dass Lingen bewusst das Gesetz gebrochen hat, um den Inhalt der Akten zu vernichten? Waren es die Meldungen der V-Leute oder gab es in Hinweise in die Akten auf weitere Operationen, die nicht bekannt werden sollten?“ betont Nebenklagevertreter Peer Stolle.

Auch Die Welt hat darüber berichtet.

 

[1] § 133 StGB lautet: „(1) Wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Dasselbe gilt für Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden oder von dieser dem Täter oder einem anderen amtlich in Verwahrung gegeben worden sind.

(3) Wer die Tat an einer Sache begeht, die ihm als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

[2]. Deutscher Bundestag, Bericht Untersuchungsausschuss NSU II, Drucksache 18/12950, S. 336, Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/129/1812950.pdf.

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