Rechtsanwalt Fresenius plädiert im NSU-Prozess

 

 

Der Terroranschlag in der Keupstraße in Köln aus Sicht des Nebenklägers M.A.

 

 

Rechtsanwalt Fresenius vertritt seit Beginn des Verfahrens Herrn M.A., einen Verletzten des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße in Köln am 09.06.2004. Unter dem 28. November hielt er nun sein Plädoyer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Das Plädoyer reiht sich in einen gemeinsam abgestimmten Vortrag der Nebenklagevertreter_Innen Carsten Ilius, gemeinsam mit Elif Kubaşık, Sebastian Scharmer, gemeinsam mit Gamze Kubasik, Dr. Peer Stolle, Stephan Kuhn, Dr. Björn Elberling, Alexander Hoffmann und Antonia von der Behrens ein. Die gesamten Plädoyers können hier selbstverständlich nicht wieder gegeben werden. Allerdings sollen zu jedem der gemeinsam abgestimmten Vorträge hier eine kurze Zusammenfassung und jeweils ausgewählte Zitate wiedergegeben werden.

 

 

Thema des Plädoyers von Rechtsanwalt Fresenius:

Das Plädoyer stellt ausgehend vom Fall des vom Terroranschlag in der Keupstraße betroffenen Nebenklägers M.A. dar, welche Folgen es hatte, dass die Ermittlungen nicht in Richtung der Nazi-Szene, sondern gegen die Menschen in der Keupstraße geführt wurden. Hervorgehoben wird die politische Verantwortung des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily dafür.

 

Inhalts-Zusammenfassung:

Das Plädoyer beginnt mit einer Einschätzung der Angeklagten – hier wird insbesondere deutlich, dass keiner der Angeklagten sich bis heute klar von seinen rassistischen Einstellungen distanziert. Nicht einmal dem Angeklagte Schultze kann dies zu Gute gehalten werden, da er sich – so das Plädoyer – bis heute dem öffentlichen Eingeständnis verweigert, als Rassist unterwegs gewesen zu sein.

Im Plädoyer wird dann erläutert, wieso der terroristische Charakter des Anschlags von Anfang an offenkundig war. Denn es lag auf der Hand, dass es den Tätern darauf ankam, möglichst viele Personen zu töten oder schwer zu verletzen und sie dahingehend den konkreten Ort der Platzierung der Bombe und den Zeitpunkt der Zündung der Bombe wählten. Motiv für die rassistischen Täter war, dass nicht nur Menschen, die sie als Ausländer empfinden, töten wollten, sondern auch langfristig Angst als Folge des Terrors unter ihnen verbreiten.

Das Plädoyer betont dann, dass die Äußerung des damaligen Bundesinnenministers Schily bereits wenige Stunden, die Tat deute auf ein „kriminelles Milieu“, für den Nebenkläger M.A. unmittelbar als Angriff auf die Opfer empfunden wurde, dass er sich als potentieller Täter gebrandmarkt sah und in der Folge unter der Angst lebte, von der Polizei als Täter verdächtigt zu werden.

Im Plädoyer wird dann dargelegt, dass Bundesinnenminister Schily sich bis heute von seiner Äußerung nicht abgewandt hat, im Gegenteil den angeblichen Hinweis auf das „kriminelle Milieu“ weiter verteidigt und sogar noch im Jahr 2017 Kritiker seiner damaligen Politik mit Klagen überzieht.

Es wird dann ausführlich berichtet, welche Folgen die Ermittlungen gegen die Menschen in Keupstraße hatten. Dies wird zusammengefasst damit, dass das staatlicherseits geschaffene Klima der Verdächtigungen, des Misstrauens, der Angst die Menschen in der Keupstraße massiv traf.

Das Plädoyer schließt mit einer Kritik an der Bundesanwaltschaft, in deren Plädoyer staatliches Handeln als Ausgangspunkt einer Beeinträchtigung, ja Verletzung der Sphäre der Opfer nicht einmal thematisiert wurde.



An das Plädoyer schließt sich eine persönliche Erklärung des Nebenklägers M.A. an, die unten vollständig zitiert wird.



Zitate von RA Fresenius:

Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Fresenius erklärt: „Die Aussage des damaligen Innenministers Schily mag nicht der Startschuss zur Verfolgung der Opfer gewesen sein, er legitimierte aber die an rassistischen Vorstellungen und Mythen orientierte Vorgehensweise staatlicher Strafverfolgungsbehörden.“

Rechtsanwalt Fresenius hält fest, dass es keine faktische Grundlage für den Hinweis des damaligen Bundesinnenminister auf einen Tathintergrund des Anschlags im „kriminellen Milieu“ gab: „Richtig ist vielmehr, dass die Sicherheitsbehörden ohne tatsächliche Grundlage und auf Weisung von oben unterstellten, dass gegen Migranten gerichtete Straftaten ihre Ursache nur im so genannten kriminellen Milieu haben könnten. Gerade weil es keinerlei Hinweis auf einen solchen kriminellen Hintergrund gab, hätte sich den Ermittlungsbehörden eine rechtsterroristische Tat schon zum damaligen Zeitpunkt aufdrängen müssen.“

Dass der damalige Bundesinnenminister Schily bis heute Kritiker seiner damaligen Politik mit Klagen überzieht, kommentiert Rechtsanwalt Fresenius wie folgt: „[Damit] perpetuiert Otto Schily jenen Rassismus, unter dem die Opfer des NSU schon viel zu lange gelitten haben, nur um sich selbst und die deutschen Sicherheitsbehörden von jedem Fehlverhalten reinzuwaschen.“

In Richtung der Bundesanwaltschaft äußert Rechtsanwalt Fresenius: „Die Tatsache, dass Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts die durch die Strafverfolgungsbehörden, die öffentlichen Erklärungen politisch Verantwortlicher erfolgte Verletzung der Persönlichkeitsrechte zahlreicher Opfer nicht einmal ansprechen, kann auf Herrn A. nur deprimierend wirken. Dies lässt ihn daran zweifeln, dass sich die dargelegten staatlichen Übergriffe in Zukunft nicht wiederholen können.“



Erklärung des Nebenklägers M.A.:

Hohes Gericht, liebe anwesende Angehörige der Opfer der Neonazis. Ich heiße M.A.

Seit über 20 Jahren ist die Keupstraße einer meiner Lebensmittelpunkte. Ich habe dort gearbeitet und heute betreibe ich dort ein Café. Am 09.06.04 hielt ich mich bei dem Nagelbombenanschlag der Neonazis gegenüber dem Friseurladen meines Bekannten auf. ich hatte Glück – ein Nagel schoss knapp an meinem Kopf vorbei in ein Regenrohr, durch die Wirkung der Bombe bin ich zu Boden gefallen und mein Trommelfell ist geplatzt.

Mit dem Anschlag war der Angriff aber nicht zu Ende. Auch in der Hauptverhandlung dieses Verfahrens haben Nebenkläger und deren Anwälte immer wieder auf die Leiden und Übergriffe auf sie – die Opfer, die hinterbliebenen Familienmitglieder – hingewiesen. Wie konnte es dazu kommen, dass Neonazis über so viele Jahre so viele Menschen die sie als „Ausländer“ bezeichnen, umbringen konnten bzw. diese Opfer von Mordversuchen wurden, wie konnte es dazu kommen, dass über Jahre unzählige Verfassungsschützer im Umkreis der Neonazis wirkten , wie konnte es dazu kommen dass die Opfer von der deutschen Polizei als Täter, als Kriminelle behandelt, diskriminiert und in ihrer Ehre verletzt wurden. Die Anwälte der Nebenklage, der Opfer des NSU, haben hierzu viele Anträge gestellt – die meisten wurden abgelehnt. Einige Anwälte von Opfern der Keupstraße – auch mein Anwalt – hatten Beweisanträge zum erkennbaren Charakter des Nagelbombenanschlages auf die Keupstraße gestellt. Auch dieser Antrag wurde offensichtlich abgelehnt. Warum wird staatliche Verantwortung nicht übernommen, warum gibt es hier immer noch ein Tabu? Dieses Gericht muss die rassistischen Morde als solche bewerten, dabei muss es auch das Verhalten der Polizei und des Verfassungsschutzes seinem Urteil zugrunde legen.

Dazu gehören die Missbilligung, die Übergriffe, die wir und die Opfer der Neonazis durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden und in deren Folge durch die Medien erleiden mussten. Ich will mich hier auf die Menschen der Keupstraße beschränken, in der Beweisaufnahme haben wir alle hören können, was die Geschädigten des Anschlages auf die Menschen in der Keupstraße erlebt haben, wie sie von der Polizei als Schuldige behandelt und unter Druck gesetzt wurden. Mir persönlich haben mehrere Bekannte in den Tagen nach dem Anschlag der Neonazis berichtet, wie sie von der Polizei behandelt wurden, dass sie als Verdächtige und nicht als Opfer angesehen wurden, dass man Druck auf sie ausgeübt habe, dass man ihnen einfach nicht glaubte. Ich erinnere mich auch, dass ich am Tage nach dem Anschlag hörte, der Innenminister habe gesagt, der Anschlag habe keinen terroristischen Hintergrund. Wenn der Innenminister einen terroristischen Anschlag auf uns – die wir als Ausländer gelten –, auf die Keupstraße als Zentrum von türkischen und kurdischen Geschäften, als nicht gegeben ausgibt, sondern auf uns – wie er es nannte, ein „kriminelles Milieu“ – verweist, war klar, was wir zu erwarten hatten. Später habe ich mir diese schnelle Schuldzuweisung so erklärt, dass er Deutschland schützen wollte. Rechtsradikale oder eine private Sache, das ist ein großer Unterschied. Wenn ich damals auf die Straße gegangen wäre und gesagt hätte: “Der ist ein Lügner“, hätten die Leute über mich gesagt; “Ach, der ist bekloppt. Der hat doch keine Ahnung. Der phantasiert.“ Ein Mann, der so eine Position wie Schily hat, hätte so etwas nicht behaupten dürfen

Der Druck auf uns in der Keupstraße durch die Polizei – die, wie wir heute wissen, auch zahlreiche V-Leute zu uns schickte, um uns konspirativ auszuforschen – hielt jahrelang an. Ich bin von der Polizei nie als Geschädigter befragt worden – warum, ist mir bis heute nicht klar. Ich habe mich aber auch selber nie an die Polizei gewandt – ich hatte einfach Angst vor der Polizei – ich hatte Angst, von dieser als Täter behandelt zu werden. Die Atmosphäre unter uns Menschen aus der Keupstraße war so, dass ich trotz meiner Verletzung – dem geplatzten Trommelfell - nicht wagte, zu einem Arzt zu gehen, da ich dachte, dieser würde mich dann der Polizei melden. Erst nach dem 04.11. war mir klar, dass die Polizei uns – mich – jetzt nicht mehr für einen Terroristen hält und ich ging zu einem HNO. Dafür war es – natürlich – zu spät. Ich schildere dies, um deutlich zu machen, wie wir Opfer die Zeit nach dem Terroranschlag auf uns erlebt haben.

Mir wurde berichtet, was die Bundesanwaltschaft plädiert hat. Da wurde oft von Anschlägen auf „den Staat“ berichtet, dass der NSU den deutschen Staat bekämpft hätte, dann wurde wiederholt erklärt, staatliche Stellen hätten mit dem NSU nichts zu tun gehabt. Davon, was wir Opfer – wir Migranten, mit welchem Pass auch immer – auch die eingebürgerten unter uns werden ja offenbar auch von der Bundesanwaltschaft weiter als Ausländer bezeichnet – nach den Anschlägen der Neonazis durch die staatlichen Organe, durch die Polizei, erleiden mussten, davon wird immer noch nicht gesprochen. Da beschränkt sich die Bundesanwaltschaft auf eine Beschimpfung unserer Nebenklagevertreter/innen.

 

Rassismus stellt eine Krankheit dar. Ich weiß, wie es ist, wenn ein Mensch nur nach seiner Volkszugehörigkeit behandelt wird. Denn ich weiß, wie es ist, wenn Kurden im Irak, in Syrien ermordet werden. Alle
Menschen müssen gleichbehandelt werden, als Individuum mit gleichen Rechten und demselben Recht auf Achtung der Menschenwürde. Wie hoch Zschäpe und ihre Mitkämpfer hier verurteilt werden, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, die Hintergründe aufzuklären – abschreckend wirkt nicht nur die Strafverfolgung, sondern auch die
Aufklärung, d. h. die Verhinderung weiterer Taten dieser Neonazis. Ich glaube, die Ärzte dieser Krankheit sind wir hier. Diese Ärzte müssen diese Krankheit behandeln, damit sie sich nicht weiter ausbreitet. Ich fühle mich in Deutschland nicht fremd. Ich fühle mich wie ein Deutscher aus der Türkei. Ich bedanke mich bei dem hohen Gericht.
 
Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!

 

 

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