Presseerklärung zum Abschlussbericht des zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages: Falsche Schlüsse und fehlende Folgen aus festgestellter Mitverantwortung der Verfassungsschutzämter

 

Parlamentarische Aufklärung muss weitergehen

Presseerklärung von Nebenklagevertreter_innen zum Abschlussbericht des zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages:

"Der Ausschuss zieht die falschen Schlüsse aus dem von ihm festgestellten Vorgehen und der Mitverantwortung der Verfassungsschutzämter."

Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss hat, der Aufklärungsblockade des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dem zum Teil zu zaghaften Umgang mit den Verfassungsschutzbehörden zum Trotz, einige wichtige Zwischenergebnisse für die Frage unserer Mandant_innen nach der staatlichen Mitverantwortung gebracht.

Denn der Ausschuss hat zum einen nachgewiesen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unmittelbar nach dem Untertauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in die Suche nach diesen eingebunden war und dass das NSU-Kerntrio und seine Unterstützer_innen von V-Leuten, insbesondere auch des Bundesverfassungsschutzes, umgeben waren. Die Meldungen der V-Leute zum Trio lagen auch dem Amt vor und Mundlos war sogar bei einem V-Mann des Bundesamtes, Ralf M., als Bauarbeiter angestellt. Der Ausschuss zieht daraus den Schluss, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz den Aufenthaltsort des NSU-Kerntrios zumindest hätte kennen müssen.

Zum anderen kommt der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Aktenvernichtung von V-Mann-Akten im Amt durch den Beamten „Lothar Lingen“ im November 2011 gezielt erfolgte und der Verschleierung der Zahl der im Umfeld des Trios geführten V-Leute diente.

Deutlich ist auch geworden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die parlamentarische Aufklärung blockiert, indem Beweisbeschlüssen des Ausschusses nicht nachgekommen wurde und ihm relevante Informationen, wie die V-Mann-Eigenschaft des Blood and Honour-Divisionschefs Stephan L., vorenthalten wurden.

Zudem kritisiert der Ausschuss, der verengte Blick des Generalbundesanwalts habe die notwendigen Ermittlungen nach der Selbstenttarnung zu dem Unterstützer_innen-Netzwerk des NSU, insbesondere an den Tatorten, verhindert.

Die Schwäche der Bewertungen des Ausschusses ist, dass es trotz dieser Feststellungen in den Schlussfolgerungen lediglich heißt, es dränge sich dem Ausschuss die Frage auf, „aus welchem Grund es Polizei- und Verfassungsschutzbehörden nicht gelang, die Aufenthaltsorte von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aufzuklären“.

„Leider zieht der Ausschuss keine Schlüsse aus dem von ihm festgestellten Vorgehen und der Verantwortung des Verfassungsschutzes und der Bundesanwaltschaft“, kritisieren wir, als Nebenklagevertreter_innen. Wir, die unterzeichnenden Vertreter_innen der Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors, sind aufgrund der in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht München gewonnen Erkenntnissen und den Ergebnissen der Untersuchungsausschüsse inzwischen der Überzeugung, die Morde des NSU hätten verhindert werden können, wenn die Verfassungsschutzbehörden das dort vorhandene – und bis heute weitgehend zurückgehaltene – Wissen dazu genutzt hätten, eine Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zwischen 1998 und 2000 herbeizuführen.

Wir fordern deshalb, dass die noch laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschüsse diese Frage zum Kern ihrer Aufklärungsbemühungen machen und konsequent gegen die Verschleierungsversuche des Verfassungsschutzes vorgehen.

Auch nach Abschluss der Arbeit des zweiten Untersuchungsausschusses müssen wir deshalb konstatieren, was wir bereits zu dessen Einsetzung vor eineinhalb Jahren gesagt hatten: Die Aufklärung des NSU-Komplexes ist noch lange nicht erreicht und benötigt noch einen langen Atem.

 

 

Alkan, Rechtsanwalt

Basay, Rechtsanwältin

Prof. Behnke, Rechtsanwalt

v.d. Behrens, Rechtsanwältin

Bogazkaya, Rechtsanwalt

Dr. Daimagüler, Rechtsanwalt

Dr. Elberling, Rechtsanwalt

Erdal, Rechtsanwalt

Hartmann, Rechtsanwältin

Hoffmann, Rechtsanwalt

Ilius, Rechtsanwalt

Kaniuka, Rechtsanwältin

Kara, Rechtsanwalt

Kuhn, Rechtsanwalt

Fresenius, Rechtsanwalt
Lunnebach, Rechtsanwältin

Narin, Rechtsanwalt

Reinecke, Rechtsanwalt

Scharmer, Rechtsanwalt

Schön, Rechtsanwalt

Sfatkidis, Rechtsanwalt

Sidiropoulos, Rechtsanwalt

Dr. Stolle, Rechtsanwalt

Ünlücay, Rechtsanwalt

 

Hintergrund:

Vorabversion des Berichts des NSU Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode

Presserklärung von Nebenklagevertreter_innen vom 01.11.2015 zur Einsetzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages
Presserklärung von Nebenklagevertreter_innen vom 15.02.2017 zur Vernehmung von Fromm und Maaßen vor dem zweiten NSU-PUA

Presserklärung von Nebenklagevertreter_innen vom 23.08.2014 zum Bericht des ersten NSU-PUA des Bundestages

 

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